Unter den verschiedensten Formen von Arbeitsplätzen, die der Mensch sich mit der Zeit hat einfallen lassen, spaltet vor allem eines die Gemüter: das Großraumbüro.
Die überzeugten Befürworter beschreiben dir einen Tag im Großraumbüro so: Am Morgen betrittst du mit einer heißen Tasse Kaffee in der Hand das Büro. Überall blickst du freundlichen oder konzentrierten Gesichtern entgegen, deine Kollegen und Kolleginnen begrüßen dich. Das Büro summt, Produktivität liegt in der Luft. Motiviert von der Energie deiner Mitarbeitenden setzt du dich an deinen Schreibtisch und beginnst deinen Tag.
Gegner des Großraumbüros bieten dir sofort eine ganz andere Darstellung desselben Morgens an: Mit deiner Tasse in der Hand betrittst du ein chaotisches Büro. Statt der freundlichen Gesichter hastet ein Kollege an dir vorbei, wohin weißt du nicht. Fast verschüttest du deinen Kaffee, als du versuchst, ihm aus dem Weg zu springen. Das Büro lärmt, das Klackern der Tastaturen und die Stimmen um dich herum strengen dich jetzt schon an. Seufzend lässt du dich auf deinen Bürostuhl fallen. Du stellst dich auf einen weiteren, erschöpfenden Tag ein.
Welches dieser sehr unterschiedlichen Szenarien entspricht mehr der Wahrheit? Um das herauszufinden, schauen wir uns einmal die Idee hinter dem Großraumbüro an.
Was ist ein Großraumbüro?
Als Geburtsstunde des Großraumbüros, wie es uns heute bekannt ist, gilt das Jahr 1958. Damals kamen zwei deutsche Möbelfabrikanten, die Gebrüder Schnelle, auf die Idee, Einzelbüros und Schreibtischreihen durch einen gegliederten Raum zu ersetzen, in dem die einzelnen Arbeitsplätze nicht fest voneinander getrennt sind. Das sollte Austausch und Organisation erleichtern. Laut den Technischen Regeln für Arbeitsstätten gelten als Großraumbüros heute „organisatorische und räumliche Zusammenfassungen von Büro- oder Bildschirmarbeitsplätzen auf einer 400 m² oder mehr umfassenden Grundfläche, die mit Stellwänden gegliedert sein können“.
Großraumbüro: Traum oder Alptraum?
Ob der Einfall der Gebrüder Schnelle genial oder grässlich war, daran scheiden sich die Geister.
Zusammenarbeit und Teamgeist
Gute Teamarbeit und Kommunikation sind die Vorteile, mit denen sich das Großraumbüro am meisten brüstet. Die gemeinsame Unterbringung in einem Raum soll für intensivere Zusammenarbeit zwischen Kollegen und Kolleginnen sorgen. Dadurch soll Teamarbeit erleichtert werden. Arbeitende motivieren sich gegenseitig, können sich unterstützen und austauschen. Auch mehr Kreativität und höhere Flexibilität sollen aus diesem Austausch folgen. Eingesperrt im Einzelbüro, wo eine erdrückende Stille die Produktivität erstickt, arbeitet es sich schlechter! Davon sind Großraum-Fans überzeugt.
Gegen das Teamwork-Argument spricht die Harvard-Studie zweier Wissenschaftler aus dem Jahr 2018 in zwei US-amerikanischen Unternehmen. Diese zeigt, dass sich im Großraumbüro die direkte Kommunikation zwischen den Arbeitnehmenden um bis zu 70% reduziert. Die Kommunikation über E-Mail und andere elektronische Wege nimmt hingegen stark zu. Dem direkten Austausch scheint das Großraumbüro also eher zu schaden.
Big Brother is watching you
Beide Wissenschaftler führen das auf das Gefühl von fehlender Privatsphäre zurück. Der eigene Bildschirm kann ständig von jedem eingesehen werden, und selbst wenn du gewissenhaft deine Arbeit erledigst, kann das das Gefühl von konstanter Beobachtung hervorrufen. Durch die direkte Nähe zu anderen Menschen kommt der Eindruck auf, dass jedes Gespräch mitgehört, jedes Wort belauscht wird. Daraus folgt der Rückzug hinter die schützenden Wände der digitalen Kommunikation. Aber trotz der Reduzierung von Gesprächen bleibt das Großraumbüro vor allem eines: laut.
Lärmbelastung
Das Klingeln von Telefonen, Fingernägel auf Computertastaturen, Gespräche links und rechts… Egal, ob du die Arbeit im Großraumbüro kennst oder nicht, du kannst dir sicherlich gut vorstellen, dass die Geräuschkulisse in einem so großen Raum gefüllt mit Menschen belastend sein kann. Besonders sensible Personen klagen über Reizüberflutung, die konzentrierter Arbeit Steine in den Weg legt. Hier hängt es jedoch stark von jedem Menschen individuell ab: Manche empfinden ein gewisses Hintergrundrauschen sogar als hilfreich bei der Arbeit.
Sparen mit dem Großraumbüro
Fürsprecher des Formats Großraumbüro weisen außerdem gerne auf die Kosteneinsparungen hin. Ein Unternehmen reduziert durch die Zusammenführung von Büros Arbeitsfläche und so im Endeffekt natürlich auch seine Mietkosten. An diesem Argument stört sich die Anti-Großraum-Fraktion, da es keinen Nutzen für die Angestellten beinhaltet, die ja schlussendlich diejenigen sind, die unter den Großraumbüros leiden – oder von ihnen profitieren.
Großraumbüros machen krank
Insgesamt scheint der Begriff des „Leidens“ jedoch leider passender zu sein. Verschiedene Untersuchungen zeigen, dass Arbeitnehmende in Großraumbüros etwa doppelt so oft krank sind wie diese, die ihren Bürojob im Einzelzimmer oder im Homeoffice erledigen. Experten zufolge liegt das einerseits an der Lärmbelastung und dem so erzeugten Stress und andererseits daran, dass sich Krankheiten im Großraumbüro schneller verbreiten. In der Grippesaison liegt schnell das halbe Büro flach, wenn nur einer etwas verschnupft an seinem Schreibtisch tippt.
Fazit
Wahrscheinlich ist es dir aufgefallen: Das Großraumbüro kommt in der Endbilanz nicht besonders gut weg. Die Hauptargumente von Verfechtern des Modells stehen zahlreichen, wissenschaftlich belegten Gegenargumenten entgegen. Trotzdem ist das Großraumbüro populär. Und tatsächlich gibt es Möglichkeiten, es so zu gestalten, dass sich zumindest ein paar der Nachteile erübrigen: Mit Ruhe- und Rückzugsräumen, die Arbeitende frei nutzen können, lässt sich das Großraumbüro erträglicher gestalten. So bleibt das Modell zukunftsfähig und kann seine guten Seiten ausspielen.
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